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Harriet Zilch
They Live in Us: Über die Gemälde von Christian Hellmich
Ich halte es mit der Langsamkeit und glaube auch nicht an den Mehrwert von Spontaneität, eher an Intuition, was ein großer Unterschied ist. Per Kirkeby
I. Malerei ist ein langsames Medium. Selbst wenn Entscheidungen im Atelier schnell getroffen werden, sind diese nie spontan. Denn sie basieren auf Intuition und intuitive Entscheidungen sind nur vermeintlich schnelle Entscheidungen. Tatsächlich schöpfen sie jedoch aus einem reichen Schatz an Reflexion und Erfahrung.
Malerei ist ein langsames Medium. Sie widersetzt sich dem schnellen Konsum, und es gelingt ihr, Lücken in unseren Sehgewohnheiten auszuloten. Sie gibt Rätsel auf, ist bisweilen unergründlich oder steht im Widerspruch zum vertrauten Umgang mit Bildern. Sie verlangt Zeit und Aufmerksamkeit, um das Dargestellte einzuordnen und individuell auszuwerten. Malerei ist kein eindimensionales Welterklärungsmodell, sondern sie lässt Lücken und Leerstellen für neue Assoziationen und subjektive Bezüge. Denn ein gutes Bild zeichnet sich auch dadurch aus, dass wir diesem noch etwas hinzufügen können. Im Gegensatz zu einer omnipräsenten Bildindustrie, deren Aufgabe gerade darin besteht, interpretatorisch eindeutige Bildinformationen zu produzieren, kann Malerei anspielungsreiche Metaphern entwerfen, die der Komplexität unserer Welt wohl eher entsprechen. Christian Hellmich hat diese Möglichkeit der Malerei einmal als „Schnitt durch das visuelle Rauschen unserer Zeit“ bezeichnet.
II. Die modular aufgebauten Bildwelten von Christian Hellmich besitzen eine enorme Anziehungskraft. Wir betrachten diese nicht als Außenstehende, sondern werden in die Kompositionen mit ihren architek- tonischen, geometrischen und ornamentalen Fragmenten förmlich hineingezogen. Einzelne Bildelemente sind durch eine Motivsammlung beeinflusst, die der Künstler kontinuierlich zusammenträgt und die neben eigenen Fotografien auch kunst- und architekturhistorische Vorlagen sowie Motive aus den Printmedien und der digitalen Bildwelt umfasst. So thematisieren auch die aktuellen Gemälde Gewölbe (2022) oder Join the Gang (2022) Architekturfragmente wie Fenster und Treppenläufe, Fassadenelemente und Dach- konstruktionen. Geometrisierende Strukturen wie ein wiederkehrendes Schachbrettmuster sind abstrakt und besitzen dennoch einen konkreten Gegenstandsbezug, da das Raster an einen gefliesten Boden oder an eine Wandgestaltung erinnert und sich damit architektonisch auflösen lässt. Andere repetitive Strukturen assoziieren sich mit Holzpaneelen, Zäunen, Wellblech oder Jalousien. Diese Formwiederholungen und Aneinanderreihungen grafischer Elemente strukturieren und rhythmisieren die Bildoberfläche. Auch zeigt sich ein großes Repertoire an Ornamenten, welches Christian Hellmich immer wieder für seine Bild- kompositionen nutzt. Das Ornament ist wohl eine der ältesten Formen nicht-figürlicher Darstellung. Es bewegt sich zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, zwischen den Gegenpolen organisch und geometrisch, zwischen dekorativer Oberfläche und symbolisch verdichtetem Raum. Das Ornament ist stets ein Balanceakt zwischen Inhaltlichkeit und Abstraktion, zwischen Verweis und Hermetik. Gleiches ließe sich auch über die Malerei von Christian Hellmich sagen. Vereinzelt zeigen neuere Bilder tierische Protagonisten, wie zum Beispiel eine Katze, welche die Arbeit They Live in Me (2021) formatfüllend in Szene setzt, oder auch eine kleine Amsel, die sich in Späti (2021) präsentiert. Auch dieses Bild zeigt eine Kombinatorik heterogener Architekturversatzstücke, von einem modernistisch anmutenden Fassadenfragment bis zu einem ländlichen Heuschober. An einen „Späti“, wie die Menschen in Berlin, Dresden und Leipzig ihre über den allgemeinen Ladenschluss hinaus geöffneten Kioske liebevoll nennen, erinnert dieses Gefüge nicht. Jedoch weckt der Werktitel vielfältige Assoziationen und verweist auch darauf, dass zum Bildkosmos von Christian Hellmich immer wieder Trinkhallen, Pavillons und Büdchen gehören.
Der Mensch fehlt in all diesen Werken. Vielleicht, weil seine Anwesenheit unsere Aufmerksamkeit zu stark binden würde. Die Schwerpunkte würden sich verschieben und Einfluss auf die Art nehmen, wie wir das Werk interpretieren. Unweigerlich würde das Geschehen auf der Leinwand in ein Narrativ kippen und von den für Christian Hellmich zentralen, formalen wie typologischen Fragen ablenken. Auch wäre unsere Rolle als Betrachtende nicht länger zentral, da wir aus der Verantwortung entlassen würden. Denn nicht wir müssten uns mit diesen verwaisten Räumen in Bezug setzen, sondern wir würden diese Aufgabe den Pro- tagonisten auf der Leinwand überlassen. Diese Bildwelten erzählen uns aber nichts über andere, sondern über uns und unsere Welt.
III. Die Kompositionen von Christian Hellmich sind maßgeblich durch Fenster und Türen, Öffnungen und Durchlässe geprägt. Seine Räume und Raumgefüge befinden sich in einem fragilen Schwebezustand, da das Innen und das Außen ineinander übergehen und sich Grenzen auflösen. Auch wenn uns immer wieder Versatzstücke begegnen, die unserer Welt entnommen sind, so sind diese Kompositionen dennoch frei von den Gesetzmäßigkeiten unserer Welt, der Perspektive, der Proportion oder einer realitätsbezogenen Logik. Seine Bildwelten aus dünn lasierten Farbverläufen und reliefartig gespachtelten Strukturen sind durch und durch artifiziell, und alle Fragen der Komposition sind für das Bild, und der Logik des Bildes folgend, gelöst.
Das mehrfache Überarbeiten und Korrigieren der Kompositionen führen zu archäologisch anmutenden Schichtungen auf der Leinwand. So repräsentiert jedes der Gemälde das Ergebnis einer eigenen Entwicklung, deren einzige Direktive die dem Medium Malerei eigene Verschmelzung von Einschränkung und Möglichkeit ist. Jedes Werk erscheint als Resultat einer Reihe von Entscheidungen, die innerhalb einer Choreografie aus Kalkül und Wagnis getroffen wurden. Die Bilder von Christian Hellmich sind mit ihrer spezifischen Tonalität, vibrierenden Dynamik und energetischen Atmosphäre ebenso kühn wie rät- selhaft. Erinnerungen an vergangene Elemente scheinen wie Phantombilder unter der finalen Oberfläche zu liegen, während beharrliche Wechsel für Interruptionen sorgen.
Es ist offenkundig, dass der Arbeitsprozess, der sich auf der Leinwand manifestiert, Zeit in Anspruch genommen hat. Diese komplexen Bildwelten sind langsam gewachsen, und die Langsamkeit der Werk- genese wird erfahrbar, da physische wie mentale (Lebens-)Zeit den Gemälden eingeschrieben ist. Diese Werke scheinen eine abweichende und subjektivierte Zeitlichkeit zu besitzen, da sie ein Sich-Zeit-Lassen dokumentieren und damit dem gewohnten, ergebnisorientierten Handeln widersprechen. Sich-Zeit-Lassen ist aber für die Malerei von Christian Hellmich wesentlich, denn nur dadurch wird eine besondere Art von Wachheit möglich, die notwendig ist, um alltägliche Dinge wie ein Vogelhäuschen, eine Deckenlampe, ein Treppengeländer oder eine Spielplatzrutsche neu zu sehen und in neuem Kontext zu zeigen. Auch die Reflexion über das Medium Malerei ist diesen Bildern stets inhärent. Die Arbeiten verhandeln die elementaren Fragestellungen nach Form und Struktur, Farbe und Komposition, Räumlich- keit und Flächenaufteilung. So gelingt es Christian Hellmich das Potenzial der Malerei zu demonstrie- ren, welches nicht etwa in einer Abbildung unserer Welt, sondern in einer klugen Visualisierung ihrer Konstruiertheit liegt.
1 Per Kirkeby. Ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks, in: Kunstforum International, Bd. 135, 1996, S. 260ff.
Harriet Zilch
They Live in Us: On Paintings by Christian Hellmich
I adhere to slowness and don’t believe in the added value of spontaneity, rather in intuition, which is a big difference. Per Kirkeby 1
I. Painting is a slow medium. Even when decisions are made rapidly in the studio, they are never spon- taneous. That is because they are based on intuition and intuitive decisions are only ostensibly rapid decisions while, in fact, drawing from a wealth of reflection and experience.
Painting is a slow medium. It resists rapid consumption and succeeds in exploring gaps in our viewing habits. It poses puzzles, is sometimes inscrutable, or is at odds with familiar approaches to imagery. It requires time and attention in order to classify and individually assess what is being represented. Painting is not a one-dimensional model for explaining the world; instead, it leaves gaps and voids for new associ- ations and subjective interrelations. This is because a good painting is also characterized by the fact that we are able to add something to it. In contrast to a ubiquitous industry of commercial imagery, whose task consists precisely of producing visual information that cannot be interpreted unambiguously, painting can conceive metaphors that are rich in allusion and which would seem to correspond more closely with the complexity of our world. Christian Hellmich once described this possibility that painting presents as ‘cutting through the visual noise of our times.’
II. Christian Hellmich’s pictorial worlds assembled from modules possess enormous attraction. We are not merely onlookers in viewing them, but are virtually drawn into the compositions with their architec- tural, geometric, and ornamental fragments. Individual pictorial elements are influenced by a collection of motifs that the artist constantly gathers and which, in addition to his own photographs, also includes source materials from the history of art and architecture, together with motifs from print media and the world of digital imagery. Such recent paintings as Gewölbe (Vault, 2022) or Join the Gang (2022) likewise involve architectural fragments such as windows and flights of stairs, façade elements, and roof construc- tions. Geometrizing structures such as a recurring checkerboard pattern are abstract and yet make specific reference to objects, with the grid evoking a tiled floor or wall design, enabling it to be interpreted architectonically. Other repetitive structures could be related to wooden panels, fences, corrugated iron, or blinds. Such a repetition of forms and the juxtapositions of graphic elements provide structure and rhythm to the pictorial surface. An extensive repertoire of ornaments is also on display, which Christian Hellmich repeatedly employs in his pictorial compositions. Ornament is probably one of the oldest forms of non-figurative representation. It shifts between objectivity and abstraction, between the opposing poles of the organic and geometric, between decorative surface and symbolically condensed space. Ornament is always a balancing act between content and abstraction, between external references and hermeticism. The same could also be said of Christian Hellmich’s paintings.
Occasionally, more recent paintings feature such animal protagonists as the cat which dominates the composition of the work They Live in Me (2021), or the small blackbird displaying itself in Späti (Kiosk, 2021). This painting also features a combination of heterogeneous architectural props, ranging from a fragment of a seemingly modernist façade to a rural hay barn. The structure is not reminiscent of a
‘Späti,’ as the residents of Berlin, Dresden, and Leipzig affectionately call the ubiquitous kiosks that serve as mini convenience stores and are open ‘spät’ (late), beyond the closure times of regular stores. The title of the work nevertheless evokes a variety of associations and is also a reminder that Christian Hellmich’s pictorial cosmos repeatedly includes ‘Trinkhallen’ (soft drink and liquor stores), pavilions, and kiosks. People are absent from all these works. Perhaps because their presence would overly preoccupy our attention. The focus would shift and influence the way we interpret the work. The events on the canvas would inevitably become a narrative and distract from the formal and typological questions that are central to Christian Hellmich. Our role as viewers would, in addition, no longer be a substantial one as we would be relieved of any responsibility. It would not be us who are obliged to relate to these orphaned spaces, as such task could be left to the protagonists on the canvas. Such pictorial worlds tell us nothing about others, but rather something about us and our world.
III. Christian Hellmich’s compositions are informed to a significant extent by windows and doors, openings and passages. His spaces and spatial structures remain in a fragile state of limbo, as the internal and external merge and boundaries dissolve. Even if we repeatedly encounter props appropriated from our world, the compositions still continue to be free from the laws of that world, from perspective, proportion, or a logic related to reality. His pictorial worlds of thinly glazed color modulations and relief-like texturing applied with a palette knife are thoroughly artificial, and all questions of composition are solved for the painting and by following the logic of the painting.
The repeated revision and correction of the compositions lead to a seemingly archaeological layering of the canvas. Each of the paintings is therefore a representation of its own development, the only directive being the fusing of limitation and possibility inherent to the medium of painting. Each work appears as the result of a series of decisions made as part of a choreography of calculation and risk. With their specific tonality, vibrant dynamics, and energetic atmosphere, Christian Hellmich’s paintings are as bold as they are enigmatic. Memories of previous elements seem to lie beneath the final surface like phantom imagery, while persistent shifts create disruptions.
It is evident that the working process as it manifests itself on the canvas, has taken some time. These complex pictorial worlds have grown slowly, and the slowness of the work’s genesis is experiential, since physical and mental (life) time is inscribed in the paintings. The works seem to have a different and sub- jectified temporality, since they document a lingering that contradicts the usual, result-oriented approach. But lingering is essential to Christian Hellmich’s paintings, because only then does a special kind of alert- ness become possible, one which is necessary to see everyday things like a bird house, a ceiling light, a banister, or a playground slide in a new way and display it in a new context. Reflection on the medium of painting is likewise always inherent to these images. The works address the elementary questions of form and structure, color and composition, spatiality and division of surface. It is in this manner that Christian Hellmich succeeds in demonstrating the potential of painting, which does not lie in a depiction of our world, but in an astute visualization of its constructed nature.
1 Per Kirkeby. Ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks, in: Kunstforum International, vol. 135, 1996, p. 260ff.